Biotop II: Seestermüher Moor

Text: Armin Püttger-Conradt

Betrachtet man sich das Gebiet des Seestermüher Moores, einem Teilstück des Liether Moores, welches sich von der Bahnlinie östlich erstreckt, aus der Luft, so sieht man ein sich seltsam mäandrierendes Gewässersystem, das sich offensichtlich aus zwei runden Teichen mit je einer kleinen Insel darin, zu speisen scheint. Wie die Arme eines Tintenfisches ziehen sie sich in alle Richtungen weit in eine Binsenlandschaft hinein, ein verästeltes Labyrinth kleiner Wasserwege darstellend.

Ursprünglich dehnte sich hier seit weit über einhundertfünfzig Jahren eine relativ eintönige Binsenwiese, entstanden nach den Trockenlegungen zur Gewinnung von Torfen, die einst das Liether Moor in Form einer mehrere Meter hohen Schicht Jahrtausende alter gepresster Pflanzenreste bedeckte. Gleich nach dem Abschmelzen der Gletscher aus der letzten Eiszeit füllten die Eiswasser eine natürliche Senke und bildete den Esinger See, Lagerplatz der Rentierjäger. Durch Tausende von Jahren hindurch verlandete dieser See und bildete ein weitläufiges Hochmoor, doch noch immer sind die ehemaligen Ufer aus der Vergangenheit deutlich zu erkennen. Eine natürliche Senke mit dünner Torfschicht ist geblieben, Flatterbinsen bedeckten diese weitläufig, ein landwirtschaftlich ziemlich schlecht zu gebrauchender Untergrund.

Von Menschenhand vernichtete Moorlandschaften lassen sich unter Umständen durchaus wieder in einen Zustand der Urform zurückverwandeln, in ein ursprünglich erscheinendes Moor auf dem weiten Weg zur Verlandung, sind doch ohnehin nur noch wenige Prozente der Moore vorhanden, die einst ganz Nordwestdeutschland weitläufig bedeckten. Ein solcher Rest befindet sich in Ostfriesland, wo sich ein großes Gebiet mit einem Zentralsee, dem sogenannten Moorauge, von dem etliche wassergefüllte Schlenkensysteme abgehen, befindet. Dieses ist das „Ewige Meer“, das als Vorbild für ein großartiges Projekt zur Renaturierung galt: Den Liether Mooraugen mit Schlenkensystem im Kleinformat.

Wie ein gewaltiges Ungeheuer grub sich der Moorbagger 2017 durch die Binsenwiese, schuf Meter um Meter weitläufige Wassersysteme, zwei kleine Teichseen als Zentren, zusammen 1.600 Quadratmeter umfassend. In nur kurzer Zeit passten diese sich neu in die Landschaft ein, begrünten sich naturgemäß mit entsprechender Feuchtvegetation und stellen nun ein einzigartiges Refugium von Moorcharakter dar mit 3.700 Quadratmetern Halbtrockenbiotop.

Bereits 2008 wurde in unmittelbarer Nachbarschaft ein Teich von 2.500 Quadratmetern Fläche mit einem Erdaushub von 1.200 Kubikmetern ausgehoben, was ein Trockenbiotop in Form eines 350 Meter langen Dammes zusätzlich ergab, entsprechend der natürlichen Dünen der Urzeit, die sich heute noch hier und da als leichte Wölbungen zu erkennen geben. Trockenrasen und Moosflächen bildeten sich in einträchtigem beieinander, während eine Dauereinsaat für der Landschaft angepasste Blüten sorgt.

Wie reich ist doch inzwischen das Tierleben auf diesen renaturierten Flächen geworden. Unbetreten und ungestört dehnt sich das beachtlich große Moorfeuchtgebiet zwischen dünenartigen Wällen von 420 Metern Länge, die, geschaffen aus dem 2.000 Kubikmeter umfassenden Aushub der Schlenken, hufeisenförmig das Wasser stauen. Das entstandene Trockenbiotop, vergleichbar mit ursprünglichen Dünen, umfasst gut 3.700 Quadratmeter. Wie harmonisch passen sich die zwischen den Wasserläufen hinein geschmiegten Saalweiden hinein, bilden kleine Gebüschzonen, ideale Brut- und Versteckplätze für Kleinvögel und zahlreichen Arten von Insekten. Da tanzen seltsame Kleinstschmetterlinge ihre Reigen, ja mitunter fliegen ganze Scharen an Schlankjungfern in immer erneuten Schüben ins Freie und verlieren sich über den Schlenken. Der Boden ist belebt von einer Unmenge an Kleinstlebewesen, mikroskopisch winzig oder in Larvenform die torfigen Schichten durchwühlend. Käfer unterschiedlichster Art führen ihr verstecktes Dasein zwischen den Pfeifengrashalmen. Da möchte man sich doch gleich flach auf den Boden legen, sie beobachten, wie sie hin und her eilen. Gelbschwarze Zebra- und Wolfspinnen haben ihre wundersamen Netze in vollendeter Kunstform von Binse zu Binse gesponnen. Gilbweiderich erhebt seine gelben Blüten, während der Blutweiderich an den Schlenken zusammen mit Sumpfschwertlilien emporragen. Und vielleicht wird es eines nahen Tages auch wieder Sonnentau geben, wie er mit Hilfe klebriger Bläschen Insekten fängt. Welch Vielfalt an Lebendigem! Und wie unbekannt doch den meisten Menschen.

Es dauerte gar nicht lange, so ließen sich die ersten Vogelarten nieder, die zuvor seit langen Zeiten verschwunden waren. Endlich sieht man wieder wuchtelnde Kiebitze, wie sie mit lautem Geschrei imponierende Flüge vollführen. Welch Anblick, sie dabei zu beobachten, voller Lebendigkeit, voller Freude am Dasein. Dann wieder tönt das wehmütige Flöten vorbeiziehender Brachvögel über das neue Moor, welches gerade Wasser- und Watvögel mit magischer Kraft anzieht. Es ist erstaunlich, wie die kleinen Strandläufer aus der Familie der Limicolen aus der Luft im Vorüberflug dieses landschaftliche Kleinod entdecken und sich sofort niederlassen. Da stochern auf Blänken Flussuferläufer, ziehen mit lauten hidididi-Rufen einige Meter weiter. Langbeinige Dunkle Wasserläufer waten wieder durchs Flachwasser, ebenso Bruchwasserläufer, die vor Jahrzehnten hier brüteten und seitdem im Liether Moor als ausgerottet galten.

Doch wie beindruckend sind die Schwärme der Sandregenpfeifer zu beobachten. Blitzschnell schießen sie flirrenden Fluges über das neue Biotop, erkennen die Möglichkeit, hier nicht nur Nahrung zu finden sondern auch auf den Walldünen zu brüten. Dann wieder haben sich Bekassinen, Sumpfschnepfen mit überlangem Stocherschnabel, tief in die Binsen gedrückt, unsichtbar dem Menschenauge entzogen. Fühlen sie sich unbeobachtet, so stecken sie ihre Schnäbel tief in den Boden, um Nahrungstierchen aus größerer Tiefe zu ertasten und hervorzuziehen. Noch haben sie sich nicht zur Brut entschlossen, aber die Landschaft ist für ihre Ansprüche hergerichtet. Wie häufig waren sie doch noch vor vierzig Jahren im Moor, flogen meckernden Fluges ihre Pirouetten am Himmel. Dann waren sie für lange Zeiten verschwunden.
Inzwischen lassen sich auch Großvögel wie stolze Kraniche, wunderschöne schneeweiße Silberreiher und natürlich Graureiher beobachten. Rudernden Flügelschlags streifen sie niedrig mit krächzendem Ruf dahin, landen auf ihren langen Beinen an den Schlenken und warten auf vorbeischwimmende Nahrung. Ein nahebei geschaffener Storchenhorst lädt immerhin bereits Störche zum Besuch ein. Mitunter kommen auch Kormorane vorüber.

Die tief zwischen den Schlenken hinein entstandenen Halbinseln, ja die Inseln selbst, bieten allerbesten Schutz für Bodenbrüter. Füchse, Iltisse und Marder haben es schwer, hier hindurch zu gelangen, wo doch auch die Binsenflächen oft selbst unter Wasser stehen. Dem beobachtenden mit einem Fernglas bewaffneten Auge leichter auffallend sind die Entenarten, die geruhsam auf den Schlenken schwimmen und diese neue Heimat gerne angenommen haben. Grünbunte Stock- und kopfgefiederte Reiherenten in schwarz-weißem Federkostüm schwimmen einträchtig beieinander. Aber wie schön ist doch die Anwesenheit einer unserer kleinsten Enten, der Knäkente, die mit langem weißem Kopfstreif versehen ist. Die kleinste Entenart, die Krickenten, kommen in Trupps einher und fallen in kurvigem Anflug in die Mooraugen ein. Welch Leben und Treiben herrscht hier vor, dem stillen Beobachter sich offenbarend. Eine nahebei befindliche Beobachtungsplattform lädt dazu ein, mit Geduld der Vielfalt der Natur auf die Spur zu kommen.
Der Erfolg dieses Projektes sorgte im Jahr 2021 dafür, das Mooraugen-Schlenkensystem nach Osten hin zu erweitern, wo die Binsenwiese sich noch weithin erstreckt. In Form einer Spiegelung wurden erneut zwei Mooraugen geschaffen, mitsamt den dazugehörigen Schlenken, genau wie 2017 zuvor geschehen. Diesmal betrug die geschaffene Wasserfläche 1.000 Quadratmeter mit einem Erdaushub von 1.200 Kubikmetern, was für einen Abschluss des Dünenwalls in einer Länge von 270 Metern und 2.430 Quadratmetern darauf befindlichem Trockenbiotop sorgte, sodass das nun einheitliche zusammenhängende Wassersystem gänzlich von einem Wall umschlossen ist, was für eine gewünschte Wasserstauung auch in trockenen Jahren sorgt. Aber welch Möglichkeit auf den neuen Gewässern, mit Hilfe der schwammigen Torfmoose, die bereits beginnen sich auf der Oberfläche auszubreiten, neues richtiges Moor zu bilden!

So möge dieses vorbildliche Moorprojekt sich die kommenden Jahrhunderte auf natürliche Weise weiter entwickeln, mittels Schwingrasen Torf bilden. Denn für einen Zentimeter Bildung dieses Pflanzenstoffs werden bereits Einhundert Jahre benötigt. So vereinen sich Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft in diesem großartigen Vorhaben.

Wie an verschiedenen Orten durch das Liether Moor hindurch gibt es auch hier eine Lehrpfadtafel und weitere an der Aussichsplattform, die über dieses einzigartige Projekt mit Text- und Bildinformationen Auskunft gibt.

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Der Mitgliedsbeitrag beträgt 15 € jährlich, für Kinder bis 16 Jahren 5 €.

Naturkundliches Gutachten

Landschaftsanalyse und Darstellung über das Betreuungsgebiet des Liether Moor-Vereins

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Links

Verein Liether Kalkgrube e.V.
www.lietherkalkgrube.de

Verein Schutz des Tävsmoores e.V. www.taevsmoor.de

Verein für extensive Robust­rinder­haltung im Liether Moor e.V. www.robustrinder-lieth.de